Die geheimnisvolle Gruft

Die Kohárys zwischen Kleinhadersdorf und der Neuen Welt 

Nur einen Steinwurf von Poysdorf entfernt liegt eine Gruft, die mehr königliches Blut gesehen hat als so mancher Palast: die letzte Ruhestätte der Urgroßmutter portugiesischer Könige, Ahnin eines bulgarischen Zaren und des brasilianischen Kaiserhauses. Und das – welch feine Pointe – nur wenige Kilometer vom Heimatort des Historikers Günter Fuhrmann entfernt, der seit 2015 an der Geschichte des Koháry-Zweigs des Hauses Sachsen-Coburg forscht. 

Günter Fuhrmann aus Steinebrunn ist Geschichtsforscher und Kulturmanager. ©Cantant Heritage & Innovation ARGE
Günter Fuhrmann aus Steinebrunn ist Geschichtsforscher und Kulturmanager. ©Cantant Heritage & Innovation ARGE

Für einen Geschichtsforscher ist es wie ein Goldfund im eigenen Garten: eine geheimnisvolle Gruft, gespickt mit Familiengeheimnissen, einem Fluch und der Legende um einen sechsjährigen Grafen, der den Ort schlicht „zum Sterben schön“ fand. Kurz gesagt: genug Stoff für eine epische Netflix-Serie – inklusive Dramen, Adelsspleen und einem Soundtrack aus Vogelgezwitscher. 

Die Koháry-Gruft in Kleinhadersdorf. © Rovere
Die Koháry-Gruft in Kleinhadersdorf. © Rovere

Schauplatz Kleinhadersdorf: ein 400-Seelen-Dorf mit Kellergasse, Weinbergen und Pfarrhof. Ohne prunkvolle Residenzen und dennoch mit ungewöhnlichsten Adelsfamiliengeschichte. Am alten Friedhof neben der Kirche befindet sich heute eine moderne Begräbniskapelle, ein Denkmal für im Weltkrieg gefallene Soldaten und ein monumentales Grabdenkmal. Zwar renoviert, aber es fehlen alle Hinweise auf die hier bestatteten Personen. Kein Wappen, keine Namen. Aber da gibt es einen großen Stein, der den Abgang zur Gruft verschließt. Möge die Geschichtsforschung beginnen! 

Die Inschrift gibt nicht das ganze Geheimnis Preis. @ Regina Courtier
Die Inschrift gibt nicht das ganze Geheimnis Preis. @ Regina Courtier

Adelsaufstieg mit kaiserlichem Glanz 

Im 16. und 17. Jahrhundert kämpfte die Familie Koháry tapfer an der Seite der Habsburger gegen Osmanen. Besonders Stephan II. bewies, dass Loyalität einen Karrieresprung bewirken kann: Kaiser Leopold I. bedankte sich mit dem Grafentitel und dem Ehrentitel “Speculum Fidelis” – „Spiegel der Treue“. Klingt höfischer als „Mitarbeiter des Monats“. 

Adelsaufstieg mit kaiserlichem Glanz 

Nach Stephans Tod 1731 übernahm Neffe Andreas Koháry das Zepter und dachte wohl: „Warum nur in Ungarn wichtig sein, wenn man auch in Österreich dazugehört?“ 1732 kaufte er Schloss und Herrschaft Ebenthal, ein Jahr später Walterskirchen. Neben seiner Hauptresidenz Svätý Anton ließ er auch Ebenthal barock aufpolieren – schließlich will man ja vor den Wiener Nachbarn glänzen. 

Ignaz Josef Kohary @Wikipedia
Ignaz Koháry. @ Wikipedia
Franz Josef Koháry. @ Wikipedia
Franz Josef Koháry. @ Wikipedia

Sein Sohn Ignaz setzte die Strategie fort, aber mit einem romantischen Twist: Er heiratete nicht in den ungarischen Adel ein, sondern in die italienisch-österreichische Familie Cavriani. Nach seinem frühen Tod führte Witwe Maria Gabriella den Familienkurs weiter und erweiterte den Besitz mit der Herrschaft Dürnkrut an der March um 3.000 Joch – was im Vergleich zu den 100.000 Joch in Ungarn eher wie ein adeliger Schrebergarten wirkte – aber immerhin. 

Gabriellas Sohn Franz Joseph Koháry heiratete in den habsburgischen Hochadel, zog in ein Wiener Palais und kaufte 1802 das Palais Lacy, denn schließlich muss man als frischgebackener Fürst etwas bauen, das dem Rang entspricht. Leider geriet das Projekt ins Stocken und wurde erst 20 Jahre nach seinem Tod von Schwiegersohn Ferdinand Georg als „Palais Coburg“ fertiggestellt. Übrigens wurde Franz Joseph 1817 als einziger Koháry in den Orden des Goldenen Vlieses aufgenommen, quasi die höchsten Habsburgern-Ehren. 

Adlige Endstation mit Vogelgezwitscher 

1798 starb Franz Joseph Seraph, der sechsjährige Sohn des Fürsten Franz Joseph Koháry. Statt ihn in der prachtvollen Familiengruft in Hronsky Benadik zu bestatten, kam er nach Kleinhadersdorf. Warum? 

  • Variante 1: Der Bub soll seinen Vater oft nach Kleinhadersdorf begleitet haben und – so will es die Überlieferung – einmal gesagt habe: „Hier ist es so schön, hier möchte ich begraben sein.“ 
  • Variante 2: Eine Koháry-Gräfin hatte den dringenden Wunsch hier wegen des wunderbaren Kleinhadersdorfer Vogelgesangs ihre letzte Ruhe zu finden. 

Ob’s Legenden sind oder die Wahrheit, das Ergebnis war jedenfalls eine adelige Gruft in einem Dorf, das bis heute eher für Wein als für Aristokratie bekannt ist.

Kleinhadersdorf – ein Ort, zum Sterben schön. @ Regina Courtier
Kleinhadersdorf – ein Ort, zum Sterben schön. @ Regina Courtier
Zauberhafter Weinwort Kleinhadersdorf. © Regina Courtier

Zauberhaftes Kleinhadersdorf 

Nur fünf Jahre nach der Beisetzung des kleinen Franz Seraph erreichte wieder ein prächtiger Trauerzug den Ort. Gräfin Gabriella Cavriani, Witwe des Grafen Ignaz Koháry und Großmutter des kleinen Franz, war in Wien verstorben. 

Gräfin Maria Gabriela von Koháry, geb. Gräfin von Cavriani. Bild aus dem Nachlass von Dr. Alexander Eugen Herzog von Württemberg.
Gräfin Maria Gabriela von Koháry, geb. Gräfin von Cavriani. Bild aus dem Nachlass von Dr. Alexander Eugen Herzog von Württemberg.

Im Gedenkbuch der Pfarre Kleinhadersdorf wird aber über ihr Begräbnis berichtet. “Ein prächtiger Leichenwagen und mehrere hochadelige Kutschen, angeführt von ihrem Sohn Graf Franz Koháry, fuhren auf der Brünner Straße nach Norden. Da es in Kleinhadersdorf an repräsentativen Räumen mangelte, wurde für die feierliche Aufbahrung der Gräfin der Pfarrhof geräumt.”  

Lange Zeit blieb Kleinhadersdorf “Wallfahrtsort”: Ferdinand von Bulgarien, Ururenkel der Gräfin Cavriani, kam jährlich vorbei, spendierte ein schmiedeeisernes Gitter und ließ Eschen pflanzen. 2013 stand die stark verfallene Gruft vor dem Abriss. Eine Initiative der Dorfbewohner und der Familie Sachsen-Coburg rettete sie – heute steht sie da als Mischung aus Denkmal, Dorfgeheimnis und Adelsspleen. 

Und es wäre kein echtes Adelsdrama, würde es nicht auch ein Geheimnis um das Geschlecht der Koháry geben.  

Der Fluch 

Das Ende der Koháry und der Übergang ihres Vermögens an das Haus Sachsen-Coburg ist mit Legenden verknüpft. Rund um Svätý Anton, das Stammschloss der Familie, erzählt man sich bis heute eine pikante Geschichte: Franz Joseph Koháry war ein passionierter Jäger – und das Schloss zeigt es mit unzähligen Jagdtrophäen. Eines Tages setzte sich die Tiere des Waldes zur Wehr und entführten kurzerhand seine Tochter. Ein tierisches Gericht wurde einberufen: Die Tochter durfte zurück, doch über die Kohárys sprach man einen Fluch aus – männliche Erben sollten ihnen fortan verwehrt bleiben. Mit anderen Worten: Das Geschlecht sollte mit Franz Joseph enden. 

Maria Antionia Koháry. @ Wikipedia
Maria Antionia Koháry. @ Wikipedia

Fluch Nummer zwei stammt aus ungarischer Feder: Emericus Koháry, seines Zeichens Mönch und wütender Verwandter, soll alle Nachkommen von Maria Antonia Koháry und Ferdinand Georg verflucht haben – weil sie ihm sein Erbe vorenthalten hätten. Historisch korrekt? Wohl kaum: Emericus lebte im 16. Jahrhundert. Mönch war er auch nicht … 

Das Wappen der Grafen von Koháry. © Wikipedia
Das Wappen der Grafen von Koháry. © Wikipedia

Ob die Kohárys nun wirklich verflucht waren? Wer weiß. Sicher ist nur, dass die Familie im Schatten der Sachsen-Coburgs nahezu in Vergessenheit geriet. In den zahllosen Publikationen über das berühmte Haus sucht man vergeblich nach dem Wappen-Löwen mit Krummsäbel. Fakt ist: Franz Josef Graf Koháry war der letzte männliche Spross des Geschlechts, der Name der Koháry erlosch mangels männlicher Erben 1822 endgültig. 

 Und wie steht’s jetzt um die Brasilien-Verbindung?

Die Familie der Kohárys ist weltweit verzweigt. Nach dem Tod des kleinen Franz Seraph war die zweite Tochter von Franz Josef, Maria Antonia, alleinige Erbin des riesigen Koháry-Vermögens. Durch ihre Ehe mit Ferdinand Georg August von Sachsen-Coburg begründete sie das Haus Sachsen-Coburg-Koháry. 

Die zwei waren ein echtes Power-Couple, wenn man ihr Vermögen bedenkt: über 100.000 Joch Land, Gutshöfe, Bergwerke und Fabriken. Maria Antonia, als eine der reichsten Erbinnen Europas, brachte nicht nur Geld, sondern auch die noble Aura ins Haus, während Ferdinand, nach einem aufregenden Militärleben inklusive Schlachten bei Asparn, Wagram und Kulm, Tapferkeitskreuze sammelte wie andere Briefmarken. 

Admiral und Jäger

Gemeinsam bekamen sie vier Kinder: Ferdinand, August, Viktoria und Leopold – ein Nachwuchs, der die europäische Bühne ordentlich aufmischte. Ferdinand heiratete 1836 Maria II. von Portugal und wurde damit zum König von Portugal. August vermählte sich mit der französischen Prinzessin Clementine und erlebte die Revolution von 1848 hautnah mit. Ihr letztgeborener Sohn Ferdinand wurde später Zar von Bulgarien. Sohn Nummer zwei, Ludwig August, wagte das Abenteuer in der Neuen Welt, heiratete die brasilianische Prinzessin Leopoldine und wurde kaiserlicher Admiral – kehrte aber später nach Österreich zurück, frönte seiner Jagdleidenschaft und hält als passionierter Jäger in Schladming bis heute den Gämsenrekord (3.412!).  Sein Sohn Peter, der brasilianische Thronfolger, musste schon mit 23 Jahren während des Militärputsches und des Sturzes der Monarchie aus seinem Heimatland fliehen. 

Walterskirchen: Schloss Coburg. © C.StadlerBwag
Walterskirchen: Schloss Coburg. © C.StadlerBwag

Niederösterreich spielte in dieser Familienszenerie immer eine charmante Nebenrolle: Schloss Walterskirchen wurde Witwensitz von Maria Antonia und später Wohnsitz von August Leopold, während Schloss Ebenthal Zeuge der letzten Lebensjahre von August war. Zwischen den Schlössern, Palästen und Jagdrevieren der Familie lässt sich die Geschichte eines europäischen Dynastiezweigs nachverfolgen, der zwischen Österreich, Portugal und Brasilien pendelte. Und wer weiß – vielleicht liegt die wahre Antwort des Geheimnisses von Kleinhadersdorf irgendwo zwischen einer kindlichen Liebeserklärung und dem schönsten Vogelkonzert des Weinviertels. 

Schloss Ebenthal. © StadlerBwag
Schloss Ebenthal. © StadlerBwag

Titelfoto: Kellergasse Kleinhadersdorf @Vino Versum Poysdorf Tourismus

Kulturmanager Günter Fuhrmann. @ Cantat Heritage & Innovation ARGE
Kulturmanager Günter Fuhrmann. @ Cantat Heritage & Innovation ARGE

Ad personam 

Günter Fuhrmann, geboren 1972 in Mistelbach, lebt in Steinebrunn und ist als Kulturmanager tätig. Gemeinsam mit Günter Remšak gründete er 2018 die Cantat Heritage & Innovation ARGE, die Museumsdesign, Ausstellungsplanung, Geschichtsvermittlung und Heritage Marketing anbietet. 

www.cantat.com

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