Weinviertel ahoi!
Von der Landratte zur Steuerfrau – mein Kurs aufs Meer
„Wellenreiterin mit Weinviertler Wurzeln“ – so steht es auf meiner Visitenkarte. Eine Formulierung, die – hoffentlich – zum Nachfragen animiert oder zumindest ein Augenbrauen-Hochziehen provoziert. Denn das Weinviertel ist bekanntlich weder Surfer-Paradies noch Hochburg der Seefahrt. Und doch: Große Seefahrerinnen können ihre Wurzeln durchaus im trockenen Flachland Mitteleuropas haben. Zu den Großen zähle ich mich zwar nicht – aber Seefahrerin, das bin ich. Auch.

Ein paar Leidenschaften tragen mich durchs Leben: Geschichtenerzählen und Reisen – Letzteres vorzugsweise unter Segeln. So, jetzt ist es raus: Ich bin Seglerin. In zwanzig Jahren auf dem Wasser habe ich meine eigene Klassifizierung entwickelt und drei Typen ausgemacht: erstens Regattasegler, zweitens Urlaubssegler – mit den Untergruppen Familientörn, Partytörn und Luxustörn – und drittens Fahrtensegler. Typ drei, das bin ich. Genauer gesagt: der Captain und ich – die Steuerfrau. Denn wo wäre ich ohne meinen Mann?

Abenteuerlich versus lururiös
Mit ihm bin ich jedenfalls – und das gern auch für Monate oder Jahre – auf unserer Segelyacht, der Maha Nanda. Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir führen kein Luxusleben, zumindest nicht im klassischen Sinn. Wir gehören vielmehr zur Mehrheit der Fahrtensegler – zu jenen mit schmalem Budget. Entsprechend besitzen wir ein sehr kleines, sehr altes und ebenso liebevoll wie hartnäckig von uns selbst renoviertes Boot. Die Maha Nanda ist 45 Jahre alt, ein holländischer Stahlbau, und nach heutigen Standards vollständig für Langfahrt ausgerüstet – allerdings auf Basic-Niveau. Wer beim Reisen das Meer und die Elemente spüren will, bei Segelmanövern auf Hightech verzichten kann und Luxus nicht braucht, wird sich an Bord wohlfühlen. Abenteuerlust ist jedenfalls Voraussetzung, wenn man mit einer elf Meter langen Stahllady den Atlantik überqueren will.



Die Abenteuerlust ist mir in die Wiege gelegt – oder sogar in die Gene. Immerhin sind meine Großeltern in den 1930er-Jahren nach Südamerika ausgewandert. Obendrein habe ich schon als Kindergartenkind, als Leseratte sondergleichen, Abenteuerbücher verschlungen, allen voran – ich gestehe es – Karl May. Mit sechs Jahren stellte ich mir keine Fragen zu political correctness oder Authentizität. Winnetou war einfach großartig, und ich wollte überallhin reisen, wohin mich Mays imaginäre Landschaften führten. Das Bewusstsein für gendersensible Sprache, kulturelle Diversität und Inklusivität kam erst später – an der Universität Wien, wo ich Kulturanthropologie studierte. Man sieht: Das elterliche Vorbild prägt das Weltbild eines Kindes weit stärker als Kinderliteratur. Die abenteuerlustige Volksschülerin verstand nichts von Stereotypen oder Rassismen, die Karl May – ein Kind seiner Zeit – transportierte. Die ethnologische Feldforscherin und kritische Autorin hingegen betrachtet die Welt heute mit wachen Augen – und mit der Offenheit einer Unermüdlich-Neugierigen.
Vorurteile über Bord werfen
Von der eigenen Sozialisierung kann sich niemand freimachen. Deshalb gilt es, ein Leben lang bereit zu sein zu lernen, Selbstkritik zu üben und neuen Sichtweisen vorurteilsfrei zu begegnen. Das ist mein Credo – beim Reisen ebenso wie beim Schreiben. Und um auf das Wellenreiten zurückzukommen: Fahrtensegeln ist die ideale Methode, um meine Leidenschaften zu verbinden – das Reisen und das Schreiben. Das habe ich schon praktiziert, lange bevor der Begriff Digital Nomad in Mode kam. Für mich die schönste Lebensform.

Mein Alltag spielt sich also auf elf Metern Länge ab. Der Indoor-Wohnraum misst ganze 16 Quadratmeter – winzig, und doch unsere kleine Welt. Hier klirren morgens die Tassen, während draußen das Schlagen der Wellen gegen den Rumpf den Takt vorgibt. Salzgeruch hängt in der Luft, manchmal gemischt mit dem Duft von Kaffee oder gebratenem Knoblauch. Wir schlafen, kochen, essen und arbeiten in unserem schwimmenden Zuhause, das alles Nötige bereithält: eine winzige Küche, Waschraum, WC, eine Schlafkoje und jenen Wohnbereich, den Segler mit einem Hauch Größenwahn „Salon“ nennen.

Wie kann man sich so ein Leben an Bord vorstellen? Es schaukelt – immer. Auf dem Atlantik ordentlich, bei Sturm heftig, wenn die Wellen ins Cockpit krachen und wir klatschnass im Ölzeug stehen. In geschützten Buchten ist es ruhiger. Meistens. Der Lebensraum ist eng, doch draußen liegt unser wahrer Luxus: die unendliche Weite des Meeres bis zum Horizont. Wir begegnen neuen Küsten, Häfen und Menschen, sammeln Eindrücke in Fülle und Momente voller Emotionen. Wir leben mit der Kraft der Elemente und den Tücken der Technik, gehen an unsere Grenzen, sind abwechselnd beseelt vom Glück und gebeutelt von Herausforderungen oder Enttäuschungen.

Konkret heißt das: Schleusen passieren und dabei über wasserbauliche Ingenieurskunst staunen. Zickzack im Strömungsgebiet des Ärmelkanals segeln. Im Tidenrevier der Bretagne im richtigen Augenblick in trockenfallende Häfen rauschen. In der Biscaya Teil einer Seenotrettung sein. Marokkanische Lotsen bei Sturm überlisten. Nachtwachen im Drei-Stunden-Takt durchstehen. Und technische Probleme lösen, von denen wir nie geahnt hätten, dass sie existieren.

Ich wusste nicht, dass man die Dieseleinspritzpumpe eines 45 Jahre alten Bukh-Motors selbst einbauen kann. Ich wusste auch nicht, wie es sich anfühlt, eigenhändig Löcher ins Stahldeck zu schneiden, Luken zu schweißen, Klampen zu montieren, den gesamten Rumpf zu schleifen, zu spachteln und achtmal neu zu streichen, einen monströsen Ankerkasten einzubauen oder die komplette Elektrik zu erneuern. All das ist Teil des Lebens an Bord – ebenso wie das Reparieren und Erneuern von Teilen, die sich angesichts der Kräfte von Welle und Wind zu Bruch selbst zerstören: Leinen, Reling, Klampen, Steuerantrieb, Windgenerator, Autopilot. Kurz: alles. Ganz im Sinne der alten Fahrtensegler-Weisheit: Alles, was an Bord zu Bruch gehen kann, geht zu Bruch.

Das klingt nicht nach Entspannung, ich weiß. Doch wir haben nie von Luxus geträumt – und ihn trotzdem gefunden. In Sonnenaufgängen, die schöner sind als alle Postkartenfotos. Im Sprung ins glasklare Atlantikwasser vor dem Frühstück. In der Weite des Ozeans, die uns das Gefühl gibt, winzige Pünktchen und zugleich alleinige Herrscher unserer Welt zu sein. In der Gänsehaut des Entdeckergefühls, wenn nach Tagen auf See die Küstenlinie eines fremden Landes auftaucht. Und in der unverbrüchlichen Hilfsbereitschaft der weltweiten Segler-Community.

Wir haben uns eingelassen – auf neue Welten, auf fremde Menschen, auf das Abenteuer. Und wir haben eine zweite Heimat gefunden: unsere Maha Nanda. Wohin die Reise geht? Das wissen wir nicht. Das Leben bleibt ein Abenteuer.
Wer mehr Meer will
Wenn ihr noch mehr von Maha Nanda und ihrer Weinviertler Steuerfrau lesen wollt, schreibt uns gerne in den Kommentaren oder schaut auf meinen Reiseblog: www.sailing-mahananda.com.
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