Homo Tapir oder: Die leise Kunst, einen Einzelgänger zu zähmen
Ein Gespräch mit Autorin Regine Koth Afzelius in freier Wildbahn
Haben Sie auch einen Tapir auf dem Sofa sitzen? Oder ahnen Sie womöglich, dass der Tapir in Ihnen längst Platz genommen hat? Der Beweis – oder die Entlastung – findet sich überraschend leicht, nämlich zwischen den Buchdeckeln von „Homo Tapir“, dem vierten Buch aus der Feder von Regine Koth Afzelius.

Nein, es ist kein zoologisches Traktat über ein Rüsseltier – ein Unpaarhufer, wie man ganz beiläufig aus dem Roman erfährt. Und doch sammelt man auf 224 Seiten jede Menge Wissen über diesen rätselhaften Pflanzenfresser. Grund dafür ist Paul, ein menschliches Exemplar, das der Autorin als Protagonist dient und der Hauptakteurin als Weggefährte, jedoch seelisch und sozial durchaus mit dem Tapir verwandt scheint. Paul ist Einzelgänger, scheu, kommunikationsmeidend – ein Haustapir, wenn man so will. Immerhin gelingt der Protagonistin seine Zähmung in Etappen. Gleichzeitig ringt sie nicht nur mit dem belesenen, philosophierenden und nüsseverschlingenden Paul, sondern ebenso mit einem durchfall- und flohgeplagten Hund, mit Insekten jeglicher Couleur und mit einer desaströs-nekrotischen Hüfte. Das alles in amüsantem Tonfall, sprachspielerisch, voller origineller Wortschöpfungen und absichtsvoll verschlungener Satzungetüme, die stets elegant die Kurve kriegen.


„Tapirismus“ in Haustierform – in einen Roman verpackt. © Regine Koth Afzelius
Und wie viel Autobiografisches steckt im „Homo Tapir“?
„Eine Frage, die mir oft gestellt wird. Aber weshalb? Natürlich steckt ein Teil von mir in der Geschichte, ich habe sie schließlich geschrieben. Doch die Details sind unwichtig. Jeder, der mit jemandem zusammenlebt oder gelebt hat, kann sich bis zu einem gewissen Grad mit den beiden Figuren identifizieren.”

Die Autorin wählt Themen, die sie selbst gerade erforscht – und in die sie sich mit Leidenschaft hineingräbt. „Sicher habe ich auch die Leser im Kopf, genauer gesagt konkrete Personen, von denen ich weiß, dass sie mein Buch lesen werden.“ Ihr erstes Werk schrieb sie im Versuch, ein Trauma zu bewältigen: „Die letzte Partie“, ein Roman mit Adam und Eva in den Hauptrollen. „Ich war 50, habe die Idee schon länger mit mir herumgetragen und eines Nachts einfach begonnen. Denn: Wenn ich zu lange warte, wird es irgendwann zu spät. Mein Bruder hat es perfekt formuliert: Du beginnst, wenn der Zeitdruck größer ist als die Versagensangst.“


Vier Bücher hat Regine bisher veröffentlicht. © Peter Hodina
Versagt hat Regine nicht. Im Gegenteil. Auf das Debüt, erschienen bei Müry Salzmann, folgte drei Jahre später „Der Kunstliebhaber“. Edition Roesner. Dafür tauchte sie tief in die italienische Renaissance ein. „Ich habe beruflich gerade eine Webseite gebaut und bin weniger mit Informationen als vielmehr mit Bildern bombardiert worden – Raffael, Michelangelo, und so weiter.“ Der Rahmen ist Renaissance, im Zentrum aber steht eine Paarbeziehung. Der Kunstliebhaber und seine Bilddeuterin. Roman Nummer drei erschien im bewährten Dreijahreszyklus: „Die Leibwächterin“, wiederum bei Edition Roesner. Sensualität und Sexualität und im Gegensatz dazu Altern und Tod spielen eine große Rolle, es geht um eine Frau, die sich letztendlich selbst organisiert. Diesmal fließt Koth Afzelius’ Interesse am Orgelbau in die Erzählung ein.
„Während ich schreibe, tausche ich mich mit niemandem aus. Niemand liest vorher eine Zeile. Nur meine Lektorin.“ Mit ihr verbindet die Autorin während des Schreibens ein langes, intensives Ringen. „Ich weiß, ich neige zu komplexen Sätzen, aber ich setzte sie bewusst als Stilmittel ein.“ Die Lektorin streicht gnadenlos, die Autorin feilscht um jeden Satz. „40 Seiten sind am Ende aus dem Manuskript geflogen. Es waren harte Diskussionen.“ Ein paar Sätze vermisst sie im gedruckten Werk. „Ich mag meine Texte, ich amüsiere mich darüber, kann auch beim Lesen laut lachen.“



Regine kann lachen, wenn die Pointe sitzt. © PeterHodina/Edition Roesner/Peter Hodina
Wie ist Regines Humor? Facettenreich. „Ich mag flache Witze und tiefsinnigen philosophischen Humor. Wenn eine Pointe sitzt, ist der Stil egal.“ Gary Larson, Perscheid, Torsten Sträter, Helge Schneider – zählt sie auf. Dann driftet das Gespräch zur Literatur: Arthur Schopenhauer, Heimito von Doderer, Marlen Haushofer. Regine ist nicht nur Schreibende, sondern ebenso begeisterte Zuhörerin und Leserin. Aktuell auf ihrem Nachtkastl: „Endlich Kokain“ von Joachim Lottmann. „Ich amüsiere mich damit prächtig.“

Das tue ich übrigens auch bei der Lektüre von „Homo Tapir“, und ja, ich lache gelegentlich ebenso herzhaft wie die Autorin selbst. Eine klare Leseempfehlung. Wer mehr wissen will, muss selbst lesen … oder reinhören. „Ich erzähle nicht gern über meine Bücher, aber ich lese mit Begeisterung daraus.“
Nächste Möglichkeit Regine Koth Afzelius zu hören:
16. Dezember, 19 Uhr
Café Heumarkt
Am Heumarkt 15
1030 Wien
“Der große Potlatch – vom Gebendürfen & Nehmenmüssen”
Es lesen: Regine Koth-Afzelius, Selma Heaney und Peter Hodina
Es singt: der Chor “Reginalis”
Erhältlich ist Homo Tapir, Verlag Edition Rösner, ISBN 978-3-9505711-6-5
in allen Buchhandlungen und online etwa auf www.thalia.at, www.morawa.at (Mit Leseprobe) und www.hugendubel.de.




Die Autorin lebt im Weinviertel, wo auch ihre Familie herstammt (Foto links oben) und liebt ihren täglichen Waldspaziergang ebenso wie allerlei Getier, das ihr dabei unterkommt. © Regine Koth Afzelius
Zur Autorin:
Aufgewachsen im Weinviertel bummelte Regine Koth Afzelius einen Teil ihres Lebens sonstwo, unter anderem in Aarhus, in Dänemark, wo sie auch Architektur studierte. Vor 17 Jahren zog sie wieder in ihre Heimat. Sie studierte an der Universität für angewandte Kunst Wien und arbeitet als Webdesignerin, bildende Künstlerin und Autorin.
Titelfoto: © Edition Roesner
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