Im Weinviertler Meer mit Ganges-Delfinen & Riesenaustern

Riffe, Schnorchelparadies und Austernbänke – das Weinviertel hat mehr Facetten, als Kellergassen, Rebgärten und weizenwogende Hügellandschaft vermuten lassen. Wogen anderer Natur beherrschten Niederösterreich vor 17 Millionen Jahren, als Mangrovenwälder wuchsen und bizarre Tiere durch ein tropisches Meer zogen, das große Teile des Weinviertels bedeckte: das Eggenburgium, ein Teil des riesigen Urmeers Paratethys.  

Riesenauster_Magallana gryphoides. © Naturhistorisches Museum Wien

Ein letzter lebendiger Rest davon existiert heute noch – wenn auch ein Stück entfernt vom Weinviertel – als Schwarzes Meer. Fossile Überbleibsel jener versunkenen Welt hingegen findet man direkt vor Ort: in der Fossilienwelt Weinviertel. Sie wartet gleich mit mehreren Superlativen auf – darunter das größte fossile Austernriff der Erde, die größte fossile Auster und die größte fossile Tahiti-Perle. 

Langschnauzendelfin_Prepomatodelphis_korneuburgensis_Schädel © 1001 Themenwelten GmbH

Bekannt sind die Fossilienvorkommen nahe Stetten im Bezirk Korneuburg seit Mitte des 19. Jahrhunderts. In den Sand- und Tonabbaugebieten stieß man immer wieder auf Millionen Jahre alte Spuren der Erdgeschichte. Ab 1975 begann eine Gruppe von Sammlern systematisch in den Tongruben zu suchen und das Gefundene zu dokumentieren. Angeführt wurde sie von Wolfgang Sovis, Gründer des Vereins „Freunde der Mineralien und Fossilien“. „Er ist der Vater des Gedankens“, betont Mathias Harzhauser, Direktor der geologisch-paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien und wissenschaftlicher Leiter des Projekts „Fossilienwelt Weinviertel“. “Er ist an mich herangetreten, weil er den wissenschaftlichen Wert der Funde erkannt hat.” Sovis habe nicht nur die wissenschaftliche Aufarbeitung initiiert, sondern auch die Finanzierung des fünf Millionen Euro teuren Projekts maßgeblich vorangetrieben. 

Knochenarbeit

Zwischen 2005 und 2008 erlebte Stetten schließlich die größte Grabung, die Österreich je gesehen hat: 200 Menschen, die meisten von ihnen Freiwillige, arbeiteten Schulter an Schulter, wühlten sich durch Erdschichten, die Millionen Jahre alt sind. Ein Aufwand, der sich lohnte. Im gigantischen Riff mit einem Ausmaß von 400 Quadratmetern fand man 650 fossile Arten, 50.000 Austern wurden freigelegt, die größte hat einen Durchmesser von einem Meter. 

Die Grabungen in Stetten. © Dr. Wolfgang Sovis (3)

„Würde man aus einer Zeitmaschine aussteigen, könnte man meinen, am Roten Meer gelandet zu sein”, beschreibt Harzhauser die Welt in Niederösterreich im Miozän. Mangrovenwälder wie am Persischen Golf und eine reiche Unterwasserwelt präsentierten sich vor 17 Millionen Jahren. Ein wahres Schnorchelparadies, wenn auch nicht für zarte Gemüter. “Lange hätten sich Taucher wohl nicht an der Tierwelt erfreut”, lacht Harzhauser, “die wären bald gefressen worden.” Tatsächlich lebten allerhand Räuber in den Tiefen und an den Ufern des Urmeers, was Fossilienfunde von Alligatoren und Haien bezeugen. Auch der Riesenhai Megalodon mit einer Maximallänge von 20 Metern durchstreifte zu dieser Zeit die Meere.

Seekuh_Metaxytherium sp_Wirbel. © 1001 Themenwelten GmbH

Ebenso dokumentierten die 40 Wissenschafter, die an dem Forschungsprojekt beteiligt waren, Fossilien von harmloseren aber nicht minder spannenden Meeresbewohnern, etwa von Seekühen, die auf den Seegraswiesen geweidet hatten, von Rochen und Delphinen. Konkret machten die Forscher einen außergewöhnlichen Fund:  der älteste fossile Gangesdelfin, entsprechend seinem Fundort “Prepomatodelphis korneuburgensis” benannt. “Damals war er ein Meeresbewohner und auch im heutigen Europa verbreitet, seine modernen Verwandten schwimmen heute als Süßwasserdelfine im Ganges und im Indus“, erklärt Harzhauser. 

Die Flutwelle

Eine weitere wissenschaftliche Erkenntnis: Keine einzige Fossilien-Auster wurde doppelklappig gefunden. Ein Detail, das den Forschern entscheidende Hinweise gab. Schlamm liebende Austern gedeihen nur dort, wo Flüsse reichlich organisches Material ins Meer spülen. „Sie brauchen Dreck“, bringt es Harzhauser trocken auf den Punkt. Die Stettner Riesenauster fühlte sich hier also richtig wohl – bis ein gewaltiger Tsunami, ausgelöst durch tektonische Beben, über das Riff fegte, Schlamm und Tiere durcheinanderwirbelte und die Schalen auseinanderbrach. Schicht um Schicht von Sand begrub die Überreste über Millionen Jahre hinweg. Doch die Erde blieb in Bewegung, gebirgsbildende Kräfte neigten das Riff um 24 Grad. Sein fossiles Geheimnis wanderte langsam an die Erdoberfläche. 

Ausflugstipp

Die Fossilienwelt Weinviertel hat von April bis Oktober geöffnet. Neben dem Forscherpark und einer Multimedia-Show gibt es Führungen für Erwachsene und Kinder, ein umfassenden Familienangebot am Gelände und regelmäßige Veranstaltungen bis Ende Oktober. 

www.fossilienwelt.at

Beitragsbild: © Dr. Wolfgang Sovis

Die Story könnt ihr übrigens auch in Magazinformat lesen: Wolkersdorfer Regionsjournal 3/25

Lest da auch noch rein:

„Eine Reise zum Ich“ – Sanja Langers Weg zur Cranio-Sacral-Praktikerin

„Eine Reise zum Ich“ – Sanja Langers Weg zur Cranio-Sacral-Praktikerin „Wenn Worte nicht mehr reichen, kann Berührung der Schlüssel[…]

© Regina Courtier. Die Faden, oder der Fadenbach, Orth an der Donau, Ilse Windisch, Nationalpark-Donauauen, Schlossinsel, Topothek, Dotierung, Donauarm, Mühldumpf.

Der Fadenbach. Die Geschichte eines verlandeten Nebenarmes der Donau. Von Hochwassern, sinkenden Grundwasserspiegeln und neuem Leben!

Der Fadenbach. Die Geschichte eines verlandeten Nebenarms der Donau.Von Hochwassern, sinkenden Grundwasserspiegeln und neuem Leben! Titelbild: © Regina Courtier[…]

Netzwerken bei Kaffee und Buffet – Das Unternehmerfrühstück im Weinviertel

Netzwerken bei Kaffee und Buffet – Das Unternehmerfrühstück im Weinviertel Frühstücken und dabei gute Ideen entwickeln – das ist[…]

www.fossilienwelt.at 

No responses yet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert